Interview mit dem „Fachberater ABC“ und Feuerwehrarzt der Feuerwehr Großmehring Dr. med. Ulrich Selz zum Brand der Raffinerie in Irsching

 

Du bist „Fachberater ABC“ bei der Feuerwehr Großmehring. Was bedeutet das genau?       
Der „Fachberater ABC“ wurde vom Bürgermeister und vom Leiter der Feuerwehr für die Aufgabe benannt, die Feuerwehreinsatzleitung bei Unfällen mit atomaren, biologischen und chemischen Ursachen zu beraten. Ich wurde dafür in einem Sonderlehrgang an der Feuerwehrschule Geretsried ausgebildet.  
Man muss bedenken, dass auf Deutschlands Straßen zirka 3.000 verschiedene Gefahrgüter transportiert werden und rund 600.000 Transporte mit atomar strahlenden Gütern pro Jahr durchgeführt werden.

Wieso braucht die Feuerwehr einen „Fachberater ABC“?   
Unfälle im Bereich „ABC“ sind eher selten, sie können sich aber als sehr komplexe und gefährliche Lagen herausstellen. Der Fachberater kann die Einsatzleitung bezüglich der Gefahren des Stoffes, Umgang mit dem Gefahrstoff, Absperrungen, Wetterbedingungen, Dekontaminationsmaßnahmen und Anforderung weiterer Hilfe beraten. Als ausgebildete Fachberater verfügen wir über viele Notfallnummern, die hinlänglich bei der Einsatzleitung nicht bekannt sind. Wir könnten dann in Abstimmung mit der Einsatzleitung aus jedem Bereich sofort Spezialisten aus Bayern oder Deutschland hinzuziehen bzw. einfliegen lassen. Beispielsweise gibt es in Bayern einen „Strahlennotarztdienst“ oder einen speziellen Notarztdienst beim Fund von biologischen Kampfstoffen oder unbekannten Erregern. Außerdem gibt es Nofalldienste bei Chemieunglücken und vieles mehr. Idealerweise gibt es aber an der Unglücksstelle Personen, die sich beruflich mit dem Gefahrgut auskennen und die speziellen Maßnahmen bei einem Unfall kennen. Doch davon kann man speziell bei Transporten per LKW nicht ausgehen.  

Wie sieht die Ausbildung für den „Fachberater ABC“ aus?  
Die Eingangsvoraussetzungen für diese Tätigkeit sind ziemlich hoch. Nur Absolventen bestimmter Studiengänge (Chemie, Biologie, Medizin) können den Kurs an der Feuerwehrschule belegen. Derzeit gibt es ca. 35 von der Feuerwehrschule ausgebildete „Fachberater ABC“ in Bayern. Es gibt allerdings weit mehr Fachberater, die aber dann jeweils in ihrem Bereich, beispielsweise Chemie, beraten können. Die Feuerwehrschule bildet quasi „Allrounder“ aus, die alle drei Bereiche beraten können. 

Wie hast Du den Tag des Raffineriebrandes erlebt?
Erstmal ging es etwas kurios los: Wir haben natürlich sofort mitbekommen, dass etwas in der Raffinerie nicht stimmt, aber wir wurden von der Leitstelle in die andere Richtung geschickt. Durch die Explosion lösten im Interpark einige Brandmelder aus, die wohl auf die Druckwelle reagiert haben. Wir fuhren also kurioserweise vom Brandherd weg. Da zwischenzeitlich schon viele Einsatzkräfte in Irsching waren, verblieben wir erst einmal auf Bereitschaft im Gerätehaus. Die Rettungsleitstelle kann ja nicht einfach jede Feuerwehr zur Unglücksstelle schicken, weil der Brandschutz für die Gemeinden im Umland sichergestellt werden muss.           

Hattest Du konkrete Aufgaben wegen des Brandes?           
Ja. Ich habe bereits einige Minuten nach der Explosion mit dem Kommandanten telefoniert und habe mich noch vor Abfahrt zur Feuerwache um die Wettersituation gekümmert und erst einmal eine Einschätzung gemacht, in welche Richtung der Brandrauch zieht. Es gibt einen Notfalldienst des Deutschen Wetterdienstes DWD den man als Fachberater bei Schadenslagen kontaktieren kann. Der DWD kann sogar Giftwolkensimulationen durchführen, so sieht man beispielsweise, in welcher Höhe, Richtung und mit welcher Konzentration sich ein Giftstoff ausbreitet.            
Für die Lage in Irsching haben mir Windrichtung und Geschwindigkeit gereicht. Der Wind kam kurz nach der Explosion aus Nord mit 5 km/h, weshalb der Rauch nicht nach Großmehring kam. Vor Ort habe ich dann mit einem Kameraden die Situation erkundet und habe mir die Höhe und Ausbreitung der Rauchwolke angesehen. Im Laufe des Tages habe ich dann den DWD noch mehrfach kontaktiert.

Trotzdem wurde die Bevölkerung in Großmehring gewarnt. Warum?   
Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht ganz klar, ob giftige Stoffe ausgetreten waren. Abgesehen davon: Diese wären wahrscheinlich durch die sehr hohen Temperaturen nahezu rückstandslos verbrannt.  
Wenn man Fenster und Türen geschlossen hält, dann dauert es einige Zeit, bis sich die Außenluft mit der Innenluft vermischt. Deshalb ist man im Haus einige Stunden sehr sicher, auch wenn es sich um einen sehr, sehr giftigen Stoff handelt, die ausgetreten ist. Im Auto ist das übrigens total anders. Dort hat man im Innenraum schon nach Minuten die gleiche Konzentration wie außen. Deshalb ist es für Gaffer ziemlich gefährlich an solche Lagen heranzufahren, weil sie nicht über die Informationen und die Schutzmöglichkeiten wie die Feuerwehr verfügen.

War der Rauch des Raffineriebrandes giftig?
Beim Raffineriebrand haben in erster Linie Kraftstoffe und Gase gebrannt und zwar bei hohen Temperaturen und unter Anwesenheit von viel Sauerstoff. Deshalb sind sie vollständig verbrannt, was aus toxikologischer Sicht optimal ist.        
Der Brandrauch eines Zimmer-, Wohnhaus- oder Autobrandes mit viel Plastik, PVC, Mischmaterialien etc. ist viel giftiger. Durch die neuartige Bauweise bekommen die Brände auch wenig Sauerstoff, weshalb gerade bei neuen Häusern oder Wohnungen wirklich sehr toxische Gifte und Gase entstehen können.     
Die Rauchentwicklung der Raffinerie war zwar beeindruckend, aber kritisch für die Bevölkerung war sie sicherlich nicht. Der Brandrauch ist hoch aufgestiegen und hat sich dann durch den auffrischenden Wind sehr gut vermischt. Es wäre bedeutend schlechter gewesen, wenn wir eine Nullwindsituation gehabt hätten, wie an den sehr schönen und heißen Tage zuvor.  Man sollte den Rauch natürlich nicht unmittelbar einatmen, aber wir sprechen ja über die Gefahren für die Bevölkerung und Umwelt der umliegenden Gemeinden.   
Durch Messwagen der Feuerwehren wurden rund um die Raffinerie herum laufend Giftstoffmessungen durchgeführt, diese waren alle ergebnislos. In den nächsten Tagen werden sicherlich noch Boden- und Wasserproben genommen werden – auch hier erwarte ich negative Ergebnisse.

Warum wurden dann knapp 2.000 Menschen evakuiert?  
Mir sind die genauen Details nicht bekannt, ich denke aber wegen der Explosionsgefahr, die natürlich zu jeder Zeit gegeben war. Nicht aufgrund der Rauchentwicklung, die zog ja zügig weg von den Wohngebieten.         

Was hatte die Feuerwehr Großmehring beim Brand für Aufgaben?        
Am Nachmittag wurden wir zur Raffinierie zur Ablösung der Einsatzkräfte alarmiert. So ein langer Einsatz ist zeit-, personal- und materialintensiv. Die Anlage musste weiter gekühlt und restliche Stoffbestände kontrolliert abgebrannt werden. Dabei unterstützen wir die Einsatzkräfte vor Ort. Gegen Abend halfen wir dem THW bei der Ausleuchtung der gesamten Anlage, weil es ja keine einzige funktionierende Lampe mehr gab und die Löscharbeiten über Nacht anhielten.

Wie schätzt Du das Ereignis insgesamt ein?   
Aus Sicht des „Fachberaters ABC“ war es ein Großbrand mit erheblicher Explosionsgefahr und zum Glück ohne Giftstoffaustritt – also eine Lage, mit der man im Großen und Ganzen unaufgeregt umgehen kann.
Aus feuerwehrlicher Sicht war es natürlich eine sehr brisante Lage, da man mit hochexplosiven Gasen und Flüssigkeiten in enormen Mengen zu tun hat.
Ich hatte am Nachmittag die Gelegenheit mir die Schadensstelle persönlich anzusehen und war vom Ausmaß und der Schäden der Explosionen regelrecht schockiert.
Und aus der Sicht des Feuerwehrarztes, war ich in Sorge um die Einsatzkräfte und Mitarbeiter des Unternehmens. Insgesamt können wir sehr glücklich sein, dass wir keine Toten zu beklagen haben. Alle Einsatzkräfte und Helfer verdienen meinen tiefen Respekt für ihren Mut und ihre Bereitschaft diese Einsatzstelle anzufahren.       
Trotzdem kann ich jedem Menschen nur empfehlen sich ehrenamtlich zu engagieren, z. B. bei der Feuerwehr Großmehring. Laut Studien macht es nämlich glücklich und praktisch macht es jede Menge Spaß. Wer Interesse hat, der kann einfach jeden Mittwochabend bei uns im Gerätehaus vorbeischauen oder Kontakt zu seiner lokalen Feuerwehr aufnehmen.   

 

Dr. med. Ulrich Selz bei der Lagebesprechung in einer Übung
Dr. med. Ulrich Selz bei der Lagebesprechung in einer Übung